Arbeit ist das ganze Leben? Von wegen!

Eine neue Theologie der Arbeit stand im Fokus einer Tagung der Bischöflichen Kommission „Kirche und Arbeiterschaft“ im Bistum Aachen

Datum:
Fr. 8. Feb. 2019

Arbeit ist das ganze Leben? Der Eindruck drängt sich auf, wenn man auf den Alltag vieler Beschäftigter schaut. Neue Geräte, Medien, Organisationsformen entgrenzen die Erwerbsarbeit tief in Familie und Freizeit hinein. Und auch für Leute ohne Arbeit scheint sie alles zu sein, denn die Gesellschaft grenzt sie aus - ohne Erwerbsarbeit landen sie im Stigma des vermeintlichen Schmarotzertums. Widerspruch zu diesen Entwicklungen entwickelte eine Tagung im Nell-Breuning-Haus, und zwar aus einer zutiefst theologischen und sozialethischen Perspektive heraus. Die Bischöfliche Kommission "Kirche und Arbeiterschaft" hatte eingeladen und viele Engagierte aus dem pastoralen Schwerpunkt im Bistum Aachen waren gekommen.

 

Renate Müller (c) Thomas Hohenschue
Renate Müller

Renate Müller begrüßte als eine von zwei Sprechern der Bischöflichen Kommission (neben Pfr. Rolf-Peter Cremer) das Plenum. Sie wandte sich gegen eine selbstreferentielle Beschäftigung der Kirche mit sich selbst. Stattdessen solle die Lebenswirklichkeit im Bistum, gerade der Menschen am Rande, im Mittelpunkt aller Zukunftsdiskussionen stehen. Wertvolle Impulse dazu leistete die Tagung im Nell-Breuning-Haus, theologisch und praxisbezogen zugleich. Müller selbst erzählte noch aus dem Alltag des Sozialwerks Eifeler Christen, wo sie sich ehrenamtlich engagiert. Hier träfe sie auf Menschen, die sich aussortiert fühlen. Ihnen wolle die Initiative Würde und Selbstwertgefühl zurückgeben.

Prof. Ansgar Kreutzer (c) Thomas Hohenschue
Prof. Ansgar Kreutzer

Prof. Ansgar Kreutzer inspirierte die Tagung mit einer klaren theologischen Positionierung. Nicht alleine Entfremdung präge heute das Bild der Arbeitswelt, sondern zunehmend Entgrenzung - und zwar in mehrfacher Hinsicht: auf die Arbeitszeit, auf die Verantwortlichkeit, auf die soziale Absicherung hin. Die Kirche sei zu neuen Aktionsformen aufgerufen, um Kontrapunkte zu dieser übermächtigen Entwicklung zu setzen. Dies geschehe aus ihrem christlichen Menschenbild heraus, welches zweckfreies Dasein und Tun als gleichwertig zum verzweckten Dasein und Tun betrachte. Sich aus der Dominanz des Ökonomischen lösen und dabei sich mit anderen zivilgesellschaftlichen Kräften vernetzen, lautete der Appell des Professors der Universität Gießen an die Akteure im Bistum Aachen.

Rainer Rißmayer (c) Thomas Hohenschue
Rainer Rißmayer

Rainer Rißmayer, Mitarbeiter des Nell-Breuning-Hauses, berichtete von den Wahrnehmungen und Analysen des Europäischen Zentrums für Arbeitnehmerfragen (EZA), das im internationalen Austausch die Entwicklungen in der Arbeitswelt beobachtet und begleitet. Die digitale Vernetzung schreite voran, in den Betrieben, aber auch in der Anbindung von Einzelpersonen etwa über internetfähige Brillen und Kleidung. Und die Wirtschaft organisiere sich gewaltig um, etwa über Plattform-gestützte Angebote. Die Folgen wären eine Grenzen überschreitende Belastung der Beschäftigten und eine fortlaufende Prekarisierung des Arbeitsmarktes. Den Prozess der Digitalisierung könne man nicht aufhalten, aber man solle ihn mit eigenen Akzenten mitgestalten, lautete die Quintessenz von Rißmayer.

Dr. Manfred Körber im Gespräch mit Hans Ritterbecks und Önder Günay (c) Thomas Hohenschue
Dr. Manfred Körber im Gespräch mit Hans Ritterbecks und Önder Günay

Interessante Perspektiven, die den Blick aufs Ganze bereicherten, brachten zwei Betriebsräte ein. Die Smart Factory ist keine Zukunftsmusik. Beim Herzogenrather Standort von Saint Gobain Securit wird das Konzept von Industrie 4.0 ganz konkret erprobt. Hans Ritterbecks und Önder Günay schilderten aus den Erfahrungen. Und machten deutlich: Klar geht es hier um rationeller organisierte Arbeit, werde auf den Abbau von Beschäftigung abgezielt. Aber diese Entwicklung käme auch so einigen Beschäftigten entgegen. Sie könnten ihre Arbeitszeit und ihren Arbeitsort flexibler gestalten, etwa in der Familienphase. Und dem jetzt schon spürbaren Fachkräftemangel ließe sich mit solchermaßen rationalisierten Verfahren besser begegnen.

Albert Koolen (c) Thomas Hohenschue
Albert Koolen

Albert Koolen schilderte die Entwicklung des Arbeitsmarktes ganz aus der Sicht von unten. Der Arbeiterpriester aus Krefeld arbeitet für ein Subunternehmen am Düsseldorfer Flughafen, für 9,19 Euro in der Stunde, was netto auf 1.000 Euro im Monat hinausläuft. So weiß er, was das Leben am Existenzminimum bedeutet. Und er berichtete davon, wie unmöglich eine persönliche Lebensplanung wird, wenn die Dienstplanung absolut willkürlich und plötzlich erfolgt. Es herrsche ein ständiges Kommen und Gehen, und die Belegschaft sei sehr international. Einen Betriebsrat einzurichten, wäre die einzige Lösung - ihn zu erhalten, gehe nur über Kampf, denn die Betriebsleitung sei daran nicht interessiert.

Solchermaßen inspiriert, nähmen die Akteure der Bischöflichen Kommission und des Pastoralen Schwerpunktes „Kirche und Arbeiterschaft“ einiges aus dem Abend mit, resümierte Moderator Dr. Manfred Körber, Leiter des Nell-Breuning-Hauses. Die Eindrücke und Impulse der Tagung könnten die Zukunftsdiskussion im Bistum Aachen bereichern. Dass der Akkordeonkünstler Hejo Schenkelberg unter anderem die Moritat von Mackie Messer anstimmte, brachte die Dinge symbolisch auf den Punkt: Es geht um das Leben und die Lebensqualität der Menschen, die bei uns leben – und letzten Endes auch um die Lebensbedingungen unserer Nachbarn und der Bevölkerung weltweit.

Thomas Hohenschue