Es hat sich aus-geschlachtet!

Nell-Breuning-Haus unterstützt aktuelle Stellungnahme der Katholischen Betriebsseelsorge Deutschland zur Ausbeutung in der Fleischwirtschaft - Ein kritischer Blick auf einen lange bekannten Skandal

(c) pixabay
Datum:
Di. 12. Mai 2020

Die Coronakrise rückt gesellschaftliche Probleme in den Blick, die ansonsten eher als fortwährende stille Skandale unwürdige Konsequenzen für betroffene Menschen haben. Wie zum Beispiel die katastrophalen, ausbeuterischen Verhältnisse in der Fleischwirtschaft. Für uns im Nell-Breuning-Haus kein neues Thema!

„Wir bauen Anteile unseres Wohlstandes und unserer sozialen Versorgung auf sklavenähnlichen Zuständen auf“, sagt Leiter Dr. Manfred Körber. „Seit vielen Jahren thematisiert das Nell-Breuning-Haus die unhaltbaren Zustände für die europäischen Wanderarbeiter*innen in der Logistik, der Prostitution, der Fleischindustrie und der häuslichen Pflege. Die nun in der Coronakrise öffentlich diskutierten Zustände erschrecken uns nicht.“

Wie ist das gemeint? Körber weiter: „Wer diese Dramatik sehen wollte, sei es bei der Gestaltung der Arbeitsverträge, der Wohnverhältnisse und ausbeuterischen Arbeitszeiten, hatte dazu viele Gelegenheiten. Insofern sind die Reaktionen der Unternehmen, Verwaltungen und Politik verlogen. Es gab und gibt nur ein sehr halbherziges Interesse an der Beendigung der Zustände. Daher unterstützen wir als Bildungspartner der Bundeskommission Betriebsseelsorge und als von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung getragene Einrichtung weiterhin alle Ansätze, die ernsthaft diesen Skandal beenden wollen.“

Das Haus trägt daher eine aktuelle Erklärung der Katholischen Betriebsseelsorge mit (Wortlaut: siehe unten). Im Februar 2019 haben wir zusammen mit der Betriebsseelsorge im Bistum Aachen und einigen europäischen Arbeitnehmerorganisationen aus dem europäischen Netzwerk für Arbeitnehmerfragen (EZA) die Problematik der „Wanderarbeit“ diskutiert und daraus ein Erasmus+ Projekt entwickelt, berichten Rainer Rißmayer und Dr. Christina Herrmann.

In diesem Projekt arbeiten seit Januar Gewerkschaften und Arbeitnehmerorganisationen aus Rumänien, Bulgarien, Lettland, Estland, Portugal, Belgien und Deutschland zusammen und wollen Hilfsinstrumente für Betroffene, Angebote für den sozialen Dialog entwickeln und letztlich auch Verbesserungen der politischen Rahmenbedingungen anstoßen. Dort haben wir auch die Lage beschrieben, in ihrem europäischen Gesamtkontext.

„Das hohe Gut der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit in der EU hat ganz verschiedene moderne Jobnomanden hervorgebracht: auf der einen Seite bewegen sich die hochqualifizierten, von Unternehmen hofierten kosmopolitischen Expatriates - die Leistungselite. Sie wissen, dass sie begehrt und teuer sind und bestimmen selbst die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit.

Auf der anderen Seite befinden sich die modernen Lohnsklaven: Sie kommen vorwiegend aus Bulgarien, Rumänien, Polen, Moldawien oder der Ukraine. Sie arbeiten in Schlachthöfen, als Pflegekräfte - sog. Live Ins - in Privathaushalten, auf Feldern, im Bauhandwerk, als Fahrer oder in der Prostitution. Sie haben nicht die Mittel, die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit zu verhandeln. Die Mindeststandards menschenwürdiger Arbeit bestimmen meist auch nicht nationale oder europäische

Gesetze, sondern Subunternehmen, die sie – oft als Scheinselbstständige – jenseits europäischen oder nationalen Rechts über Werkverträge bei deutschen oder anderen europäischen Unternehmen arbeiten lassen. Auf diese Weise werden Mindestlöhne umgangen und verdientes Geld an anderer Stelle wieder abgezogen: durch Erpressung von Überstunden, Einforderung von Vermittlungsgebühren, Kosten für Transport und Unterbringung etc.“

Nun offenbart auf tragische und bittere Weise ein Virus diese Missstände in Deutschland, weil hier auch noch mit der Gesundheit dieser Menschen leichtfertig gespielt wird, sagen Rißmayer und Herrmann. Die aktuelle Krise in der Fleischindustrie unterstreiche den Veränderungsdruck. Und wenn Bundestagsabgeordnete am 19. Mai meinen, dass man Veränderungen in aller Ruhe prüfen muss und man nicht „das Kind mit dem Bade ausschütten sollte“ – haben sie das Leiden der betroffenen Menschen und den Handlungsdruck anscheinend nicht verstanden.

Wir unterstützen daher die Stellungnahme der Bundeskommission Betriebsseelsorge und die Initiative der KAB  (https://www.kab.de/nc/service/meldungen-uebersicht/detailansicht/article/werkvertraege-in-der-fleischbranche-stoppen-1) und hoffen gemeinsam etwas gegen die Missstände zu erreichen.

Stellungnahme der Bundeskommission Betriebsseelsorge