Mit geschärftem Blick für die Realitäten die Prioritäten in der diakonischen Pastoral richtig setzen

Digitalisierung, Prekarisierung, Entsolidarisierung: Eine Impulstagung zu Trends in der Arbeitswelt wies nach, dass sich zurzeit die strukturelle Benachteiligung vieler Menschen ausweitet

Jonas Hagedorn (l.), Sozialethiker aus Bochum, und Stefan Voges, Sprecher der Kommission. (c) thh
Jonas Hagedorn (l.), Sozialethiker aus Bochum, und Stefan Voges, Sprecher der Kommission.
Datum:
Do. 14. März 2024

Die Arbeitswelt wandelt sich, teils still, teils disruptiv, auf jeden Fall: fundamental. Das betrifft nicht nur die wirtschaftliche Prosperität Deutschlands, sondern auch unsere Gesellschaft. Die Kommission Kirche und Arbeiterschaft im Bistum Aachen nahm diesen Zusammenhang im März 2024 bei einer Impulstagung im Nell-Breuning-Haus unter die Lupe.

Einer Diözese wie der Aachener, die sich diakonisch ausrichtet, tut ein solches Update gut. Viele kirchliche Einrichtungen, Verbände und Organisationen arbeiten mit Menschen, die von strukturellen Benachteiligungen betroffen sind. Nach Analyse von Beobachter:innen wie Jonas Hagedorn verschlechtern und verschärfen sich zurzeit diese Rahmenbedingungen.

Bei der Impulstagung skizzierte der Bochumer Sozialethiker die Trends: Die fortschreitende Digitalisierung trägt zu Verdichtung, Beschleunigung und Kontrolle der Erwerbsarbeit bei. Sie verstärkt den wettbewerblichen Druck um feste Arbeitsstellen, durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Clickworker:innen. Und sie erleichtert den Abbau von Stammbelegschaften.

Denn die Deregulierung des Arbeitsmarktes verschärft sich, analysierte Jonas Hagedorn. Als Trends nannte er die sinkende Tarifbindung vieler Unternehmen und den verstärkten Einsatz von Leiharbeit. Immer mehr Menschen arbeiten unter prekären Bedingungen, ohne Absicherung, geringfügig beschäftigt, niedrig entlohnt. Davon sind überproportional Frauen betroffen.

Welche Ängste und Unsicherheiten in diesen Umbrüchen entstehen, wie sie das Klima der Gesellschaft belasten, die Akzeptanz von Demokratie aushöhlen, spüren Fachkräfte und Seelsorger:innen in der täglichen Arbeit. Viele Menschen leben am Existenzminimum, können an gesetzlichen, digitalen und arbeitsorganisatorischen Fortschritten nicht teilhaben.

Zugleich erfahren die strukturell Benachteiligten, wie sie durch politische Polemik an den Rand gedrängt werden, als sozialstaatlicher Ballast, der den Steuerzahlenden auf der Tasche liegt. Das lässt sich als Vorgeplänkel auf die Verteilungskämpfe verstehen, die angesichts erheblicher Militärinvestitionen und Schuldenbremse auf die deutsche Gesellschaft zukommen.

Das Widersprüchliche am rabiaten Umbau der Wirtschaft ist, dass sie zunehmend an Arbeitskräftemangel leidet. Wie sie ausgestaltet ist, sinkt ihre Anziehungskraft auf junge Menschen. Diese setzen angesichts der Erschöpfung und Überlastung der Generationen vor ihnen auf andere Lebens- und Arbeitsmodelle, wollen Teilzeit arbeiten, fordern Flexibilität.

So sehr Jonas Hagedorn Sympathien für diesen neuen Fokus auf den Primat gesunder und freier Lebensführung hegt, so sehr sieht der Sozialethiker darin Gefahren. Denn bislang sind gerade die Systeme der Alterssicherung überhaupt nicht auf solche Modelle ausgerichtet. Das wissen schon heute Frauen, die lange zugunsten von Familie oder Partner kürzergetreten haben.

Die Impulstagung erbrachte viele Ansatzpunkte für praktische und politische Anwaltschaft, die im Netzwerk der Kommission verfolgt und vertieft werden können. Das Update richtete den eigenen Kompass auf die aktuellen Entwicklungen aus. Ein geschärfter Blick für die Realitäten von heute hilft, die richtigen Prioritäten in der diakonischen Pastoral zu setzen.

Bilder zur Impulstagung der Kommission

Do. 14. März 2024
3 Bilder