Diese Wagenburg ist vor allem eines: antidemokratisch

Welchen Einfluss üben fundamentalistische Christen auf den Diskurs in Politik, Kirche und Gesellschaft aus?

Rechtskatholizismus (c) Thomas Hohenschue
Rechtskatholizismus
Datum:
Sa. 21. Mai 2022

Eine Podiumsdiskussion in Herzogenrath erörterte die Vernetzung und Verwobenheit einer lautstarken christlichen Minderheit mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Kräften

Die Demokratie gerät weltweit unter Druck, immer mehr Staaten wenden sich von dieser Form der Regierung ab. Auch in Europa gewinnen antidemokratische Diskurse und Kräfte an Gewicht, wie autoritäre Entwicklungen etwa in Polen und Ungarn zeigen. Eine nicht unbedeutende Rolle an dieser internationalen Erosion der Demokratie nehmen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten ein, die sich auf christliche Werte berufen. Argumentativ und ideologisch, häufig aber auch personell und publizistisch vernetzt und verwoben zu dieser Szene sind Grenzgänger und Weltenwanderer aus dem Kreis fundamentalistischer und radikalisierter katholischer und evangelischer Christen.

Eine Podiumsdiskussion im Nell-Breuning-Haus nahm am 21. Mai 2022 diese Wagenburg von Menschen näher in den Blick, die alle zivilisatorischen Errungenschaften ablehnt, die moderne demokratische Gemeinwesen in den letzten Jahrzehnten in Gesetze gegossen haben. Ob es familien- und partnerschaftspolitische Entscheidungen sind, welche die überkommene Geschlechter- und Ständeordnung hinter sich lassen, die sexuelle und körperliche Selbstbestimmung der Menschen oder eine Religionsfreiheit, die Judentum, Islam und andere Religionen gleichstellt – mit all diesem wird nicht nur gefremdelt, sondern es wird erbittert bekämpft. Und zwar mit einer Radikalität, deren brachialen Methoden andere gewaltig unter Druck zu setzen wissen, zumal die Protagonisten bestens vernetzt wären, auch zu Medien und Meinungsmachern.

Dieser Lageskizze durch den Bonner Politikwissenschaftler Andreas Püttmann folgte ein intensiver Austausch über die Bedeutung und den Umgang mit der ideologischen Allianz zwischen christlichen und säkularen Radikalen und Extremisten. Sonja Strube, Theologin von der Universität Osnabrück, verfolgt den von ihnen geführten Kulturkampf im Internet und plädiert dafür, die Agitation präzise als das zu benennen, was sie ist: antidemokratisch. Die Verachtung und der Hass auf demokratische Institutionen und Errungenschaften spreche aus vielen Positionen und die Sprache, die gewählt werde, verstärke das. Dieses Vorgehen beobachte man auch bei rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien mit dem Effekt, dass sich bei Menschen, die sie damit erreichen, schleichend Maßstäbe und Haltungen verändern. Deutlich sei zu beobachten, dass viele Personen in- und außerhalb der Kirchen gar nicht merkten, wie sie sich im Laufe der Jahre radikalisierten.

Verliert diese Szene wegen ihrer immer ungeschminkteren Verbindung zu Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ihre Anschlussfähigkeit in den Kirchen? Dafür sieht der frühere ZdK-Vorsitzende Thomas Sternberg durchaus Indizien, zum Beispiel gingen Bischofshäuser und Ordinariate inzwischen gelassener mit den gut orchestrierten Angriffen von rechts um. Andererseits bedauert er, dass die katholische Stimme bei manchen Themen wie dem Schutz des ungeborenen Lebens nicht mehr durchdringe, da sie bereits von der kleinen, aber lauten Minderheit der fundamentalistischen Christen besetzt seien. Um solchen Vereinnahmungen etwas entgegenzusetzen, brauche es eine fortlaufende intellektuelle Auseinandersetzung mit dieser Szene, so unappetitlich das auch sei, appellierte der Münsteraner evangelische Theologe Arnulf von Scheliha. Es müsse verhindert werden, dass diese Wagenburg weiteren suchenden Menschen eine neue Heimat werde.

 

Info

Die hybride Podiumsdiskussion bildete den Abschluss einer Fachtagung zum Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik vom 19. bis 21. Mai 2022 im Nell-Breuning-Haus. Als Veranstalter zeichneten neben dem Herzogenrather Bildungszentrum verantwortlich: die Landeszentrale für politische Bildung, die Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland sowie die Westfälische Wilhelms-Universität Münster.

Welchen Einfluss üben fundamentalistische Christen auf den Diskurs in Politik, Kirche und Gesellschaft aus?

Sa. 21. Mai 2022
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