Kinder und Jugendliche wachsen heute in zwei Welten auf, die eng miteinander verbunden sind. Technisch versiert, bewegen sie sich häufig mühelos durch den Dschungel digitaler Dienste. Dass sie handwerklich gut durchkommen, bewahrt sie allerdings nicht vor Gefahren, die dort auf sie warten. Denn es gibt Einzeltäter und gut organisierte Täternetzwerke, die es auf ihre persönlichen Daten, auf ihre persönlichen Bilder, auf ihre körperliche und sexuelle Unversehrtheit abgesehen haben.
Neben der Familie als häufigsten Ort für sexualisierte Gewalt tritt das Internet. Die Erwachsenen an der Seite der Kinder und Jugendlichen bekommen häufig überhaupt nicht mit, was an den digitalen Endgeräten geschieht. Als übliches Einfallstor nicht nur für Mobbing und Stalking, sondern auch für unangemessene Bilder und übergriffige Kontakte gelten die Smartphones. Wenigen ist bewusst, dass Täter*innen auch zum Beispiel Spieleplattformen als Drehtür für ihre Aktivitäten benutzen.
Expertise in diesem dunklen Feld der Digitalisierung hat der Berliner Verein "Innocence in Danger" und engagiert sich bundesweit für Aufklärung, Sensibilisierung, Prävention. In diesem Kontext kamen zwei Fachkräfte des Vereins auch ins Nell-Breuning-Haus nach Herzogenrath, um dort mit Baesweiler Neuntklässler*innen zwei Tage lang zu arbeiten. Diese Medienscouts sollten Hilfreiches an die Hand erhalten, um jüngeren Mitschüler*innen wichtige Tipps zum Thema zu geben.
Bei den Gesprächen wurde klar, dass die Jugendlichen einige Erfahrungen von Übergriffen bei Gleichaltrigen kennen. Und doch haben sie nur die Spitze des Eisbergs gesehen, verdeutlichten die Fachkräfte aus Berlin. Die Täter*innen gehen systematisch vor, sie sind Expert*innen der Manipulation, gehen über Grenzen, die wir haben, was rasch unsere Vorstellungskraft sprengt. Sie sind besser als wir, lautete das Fazit. Auf gut Deutsch: Allein sind viele Kinder und Jugendliche verloren.
Als Medienscouts wollen die Neuntklässler*innen das Gespür für drohende Gefahren schärfen. Viele Kinder und Jugendliche haben ein natürliches Gefühl, wenn Grenzen überschritten werden, aber die Täter*innen hebeln diesen Schutz häufig aus, indem sie wochen- und monatelang ein vermeintliches Vertrauensverhältnis aufbauen. Aufklärung durch Gleichaltrige wirkt dieser Strategie entgegen. Sie macht Prinzipien stark: Denk nach, bevor Du sendest! Trau Deinem Gefühl! Achte Deine Grenzen!
In Vorträgen, Diskussionen, Rollenspielen und Kleingruppenarbeiten entwickelten die Schüler*innen Gegenstrategien. Wie können sie in ihrer Schule Aufmerksamkeit für das schambesetzte Tabuthema schaffen? Wie können sie das weitergeben, was sie beim Workshop im Nell-Breuning-Haus gelernt haben? Dazu gehört auch, genau zuzuhören, ohne Wertungen, und im Fall des Falles einfühlsam Hilfe zu leisten. Sowohl für Betroffene sexualisierter Gewalt als auch ihr Umfeld gilt: Bleibt nicht allein!
Diese Botschaft richtete sich auch an die erwachsenen Workshop-Teilnehmer*innen aus Lehrerschaft und Schulsozialarbeit sowie aus der Teamerschaft des Nell-Breuning-Hauses. Sie sollen auf das Netzwerk von Beratungs- und Interventionsstellen zugehen, wenn es Verdacht auf übergriffiges Verhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen gibt. Die Ausbildung der Medienscouts für ihre Arbeit mit Gleichaltrigen ertüchtigte auch sie für einen besseren Umgang mit den digitalen Gefahren. Das Ziel: ihr neues Wissen in ihre jeweilige Organisation, aber auch in regionale Netzwerke einspeisen.
Infos zum Projekt
Die Lotsenausbildung "Sexualisierte Gewalt im Netz" für eine Peer-to-Peer-Prävention fand im Rahmen des Bundesprogrammes "Demokratie leben!" statt. Als Pilotmaßnahme als Beitrag für den Aufbau eines regionalen Präventionsnetzwerkes ist sie verortet im Programmbereich "Partnerschaften für Demokratie in der StädteRegion Aachen."
Kooperationspartner des Nell-Breuning-Hauses waren das Gymnasium der Stadt Baesweiler und die Realschule für Jungen und Mädchen Baesweiler. Der zweitägige Workshop wurde gestaltet von Fachkräften von "Innocence in Danger" aus Berlin.