Wie am besten die lebendigen Kerne von Kirche stärken?

Wenn es bei dem Beschluss bleibt, errichtet das Bistum Aachen acht bis 13 Großpfarreien. Dazu gibt es allerdings gute Alternativen, bekräftigte ein Abend mit Kirchenrechtler Prof. Dr. Thomas Schüller

2022-11 NBH thh Thomas Schüller 1 (c) Thomas Hohenschue
2022-11 NBH thh Thomas Schüller 1
Datum:
Do. 3. Nov. 2022

Auf dieses Zwischenergebnis des Aachener Bistumsprozesses „Heute bei Dir“ hatten viele beruflich und ehrenamtlich Engagierte in den Gemeinden der Diözese lang gewartet. Im April 2022 ließ der Synodalkreis die Katze aus dem Sack: Künftig soll es acht bis 13 von Priestern geleitete Großpfarreien auf dem Gebiet des Bistums Aachen geben. Sie nehmen im Kern eine Aufsichtsfunktion über insgesamt ca. 50 pastorale Räume wahr, in denen Kirchensteuermittel und hauptamtliches Personal eingesetzt werden. Wie nicht anders zu erwarten, schlagen seit diesem Beschluss die Wellen in der Landschaft der Pfarreien hoch. Dies liegt auch daran, dass wichtige institutionelle, rechtliche und finanzielle Eckpunkte der angekündigten Umstrukturierung noch völlig unklar sind.

Einige Schneisen ins Dickicht schlug nun der Münsteraner Kirchenrechtler Prof. Dr. Thomas Schüller. Vor 120 Gästen im Nell-Breuning-Haus und an zugeschalteten Monitoren ordnete er am 2. November 2022 den Plan des Synodalkreises in der Sache ein. Wohl kaum ein anderer Experte in Deutschland hat eine so vielschichtige Erfahrung im Gepäck, um diese Leistung zu erbringen. Thomas Schüller berät nicht nur heute einige Diözesen bei ähnlichen Projekten und Prozessen, sondern hat im Bistum Limburg selbst lange Umstrukturierungsprozesse mitgestaltet und mitverantwortet. Er verfolgt und interpretiert zusätzlich die römische Politik bei Fragen der Leitung von Pfarreien. Wie wichtig das ist, zeigte sich 2020, als Rom die Trierer Beschlüsse zur Errichtung von Großpfarreien einkassierte.

Noch im selben Jahr zementierte eine römische Instruktion manche Vorgaben, die sich aus dem Kirchenrecht ableiten lassen. Die Letztverantwortung muss in einer Pfarrei ein Priester tragen. Das heiße allerdings nicht im Umkehrschluss, dass der Priester im Alltag diese Pfarrei leiten müsse, verdeutlichte der Kirchenrechtler. Dafür gebe es mit den Leitungsmodellen nach Paragraph 517,2 eine vielfach bewährte Alternative. In manchen Bistümern, die Thomas Schüller begleitet, gehen die Bischöfe bei Vakanzen systematisch dazu über, die Leitung der Pfarreien in die Hände von nicht geweihten Menschen zu übergeben. Sie tun ihren verbleibenden Priestern nicht den Stress an, immer größere Gebiete als leitender Pfarrer im Blick behalten zu müssen. Vielmehr folgen sie dem Ansatz von Papst Franziskus, pastorale Antworten auf die Lage vor Ort zu geben.

Diese gute Passform von Gestaltung und Leitung einer Pfarrei sei das, worauf es Rom ankomme, betonte der Kirchenrechtler. Deshalb warb er für einen differenzierten Blick auf die Situationen im Bistum Aachen. Wie in anderen Diözesen gebe es hier klare Unterschiede zwischen Stadt und Land, was das Zugehörigkeitsgefühl der Menschen betreffe. Im städtischen Umfeld mit seinen kurzen Wegen könne es von den Gläubigen her gedacht durchaus plausibel sein, große Pfarreien zu bilden. Auf dem Land hingegen sei es das nicht, weder mit Blick auf Beheimatung noch aus Gründen der praktischen Umsetzung. Hier nach einem starren Prinzip Pfarreien ähnlich dicht zusammenzulegen wie in städtischen Gebieten, sei etwas, das der römischen Politik widerspreche, sagte Thomas Schüller. Bei acht bis 13 Großpfarreien sieht er Risiken, dass der Plan scheitert.

Letztlich kommt es darauf an, was der Bischof will, niemand anders kann die Sache entscheiden. Das Prinzip, die Pfarreistruktur nach der Zahl leitungsfähiger Priester zu schneidern, führe erkennbar in die Irre. Auf das Kirchenrecht allein könne sich ein Bischof nicht berufen, wenn er diesen Weg beschreitet, betonte Thomas Schüller. Denn dieses eröffnet viele Alternativen, wovon wie gesagt die wichtigste die Leitung durch Laien nach Paragraph 517,2 ist. Was im Beschluss des Synodalkreises „pastoraler Raum“ genannt wird, hat keine kirchenrechtliche Grundierung. Gleiches gilt für den Zugriff auf das Vermögen der Kirchengemeinden, staatsrechtlich abgesichert in Fonds und Stiftungen. Eine Perspektive für geregelte Verhältnisse in dieser komplexen Gemengelage könne die verstärkte Gründung von Vereinigungen bieten, mit passgenauem Rechtscharakter.

Die Großpfarreien werden hier von kirchlich Engagierten keinesfalls als richtiger Bezugsrahmen gesehen, zeigte die Diskussion. Die Selbstverwaltung der bisherigen und der neuen Vereine erfordere einen stärkeren Bezug zur pastoralen Situation vor Ort. Bei manchen Vermögen, die in den bisherigen kleinen Kirchengemeinden gebündelt seien, gehe das wegen des Ewigkeitsanspruchs ihrer Zwecke und Ziele auch gar nicht anders, unterstrich Thomas Schüller. Die kommende kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit würde daher anders lautende Beschlüsse einkassieren, prophezeite der Kirchenrechtler. Ehrenamtliche Aufsicht über Finanzen und Vermögen leistet im Kontext einer Pfarrei der Kirchenvorstand. Dieses bewährte Konzept einer Selbstverwaltung stößt in Großpfarreien erkennbar an seine Grenzen. Überall lauern Fallstricke.

Ob der Beschluss des Synodalkreises angesichts all dieser Argumente noch einmal aufgemacht wird und aus den ca. 50 pastoralen Räumen 50 oder mehr Pfarreien werden, die kollegial und zum Teil von Laien geleitet werden? Es wäre ein praktikabler Weg, der auch mit dem skizzierten modernen Leitungsmodell für die pastoralen Räume konform geht. Thomas Schüller plädierte in jedem Fall für eine Stärkung der lebendigen Kerne von Kirche. Auch dafür gebe es mit dem Paragraphen 516 das rechtskonforme Instrument, eine Gemeinschaft zur Quasipfarrei zu erheben. Dieser Hinweis könnte bei der weiteren Diskussion um pastorale Räume und Orte von Kirche noch eine wichtige Rolle spielen. Das alte Prinzip der Subsidiarität – höhere Ebenen übernehmen nur das, was die Menschen und Institutionen darunter nicht leisten – würde hier wahrnehmbar in neue Kraft gesetzt.

Der hohe Zeitdruck, den sich der Bischof von Aachen bei dem Umstrukturierungsprojekt auferlegt hat, lässt allerdings einem öffentlichen Diskurs über eine gute Ausgestaltung wenig Raum. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Verständigung angesichts der verengten Beteiligungsformate des Bistumsprozesses nur außerhalb der diözesanen Zukunftsdiskussion geführt werden kann. Es ist der Initiative einzelner Akteure überlassen, die nötige öffentliche Auseinandersetzung zu gestalten, wie in diesem Fall durch den Diözesanrat der Katholik*innen, das Nell-Breuning-Haus und die Pfarrei St. Josef Straß. Der hohe Zuspruch zu der hybriden Veranstaltung zeigte, wie hoch der Bedarf am offenen Austausch auf Augenhöhe ist. Menschen, die sich beruflich und ehrenamtlich dem Gestalten von Kirche am Ort verschrieben haben, möchten ihren zukünftigen Rahmen mitprägen.

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