Was die Kirche im Bistum beisteuern kann, um den wirtschaftlichen und sozialen Wandel mitzugestalten
Neue Bestell- und Lieferdienste. Digitale Warenhäuser. Vergleichsportale. Paketboten allerorten. Fahrradkuriere. Fernreisebusse. Ferienwohnungen. Flugreisen.
In immer mehr Lebensbereiche dringen digitale Technologien und Plattformen ein. Für die jeweiligen Anbieter arbeiten immer noch nicht nur Maschinen, sondern auch Menschen. Aber es sind meist weniger und sie arbeiten anders als andere Beschäftigte. Die Digitalisierung schreitet voran und nimmt immer mehr Einfluss auf den Alltag der Menschen im Bistum Aachen. Das ist nicht nur ein Thema der exzellenten Hochschulen in der Region. Und es ist auch nicht nur ein Thema von High-Tech-Firmen, Ingenieuren und Managern. Es ist keine Entwicklung, die nur Gewinner kennt, und ebensowenig eine, die nur Verlierer kennt. Es kommt ganz auf den Rahmen an, in dem die neuen Technologien eingesetzt werden. Lange Zeit gab es Regeln dafür, wie Menschen angestellt, bezahlt, abgesichert werden.
Es gab Regeln für ihre Arbeitszeiten, für Urlaube, Krankheitsphasen. Es gab auch ein von der Belegschaft gewähltes Gremium von Beschäftigten, das sich für die Entwicklung und Einhaltung dieser Regeln mitverantwortlich zeigte. Das alles muss in immer mehr Branchen, Unternehmen und Betrieben neu ausgehandelt werden. Denn dass man inzwischen mehr von zu Hause oder von unterwegs Maschinen und Abläufe steuern kann, per Smartphone und Tablet, fordert neu heraus. E-Mails, SMS und WhatsApp ermöglichen Erreichbarkeit rund um die Uhr. Viele genießen die neue Verantwortung, die sie für ihr Projekt erhalten – aber auch hier verschwimmen die Grenzen: Was ist mir, was ist der Firma? Was ist private Zeit, was dienstliche? Wem gehören meine Gedanken, meine Aufmerksamkeit, meine Kraft und meine Zeit? All das macht die schöne neue Arbeitswelt aus – mit ihrer Flexibilität.
Nicht jeder kann mit dieser Freiheit gut umgehen. Denn wirklich frei ist man ohnehin nicht, wenn es um die Arbeit geht, und es ist auch gar nicht so einfach, nein zu sagen: zum Arbeitgeber oder auch zu sich selbst. Gewerkschaften und Betriebsräte sind gefordert, die Regeln neu auszuhandeln, zum Wohle der Beschäftigten und ihrer Familien ebenso wie im Interesse des Unternehmens, etwa an niedrigen Krankenständen. Denn eines ist klar: In einer Welt, in der die Arbeit allgegenwärtig ist, stoßen Beschäftigte an ihre gesundheitlichen, psychischen Grenzen. Auch Kirche kann hier ermutigen und stärken, die Welten neu zu trennen. In ihrer Sonntagskultur ist sie eine natürliche Verbündete für die Gewerkschaften. Man trifft sich in dem Anliegen, dass es einen Tag in der Woche geben soll, an dem das zweckfreie Dasein und Tun im Vordergrund steht und an dem die Gemeinschaft mit anderen Menschen gepflegt wird.
Für den Theologieprofessor Ansgar Kreutzer aus Gießen ist das ein Beispiel von vielen, wie Kirche vernetzt mit anderen zivilgesellschaftlichen Kräften für ein gutes Leben und Arbeiten eintreten kann. Kreutzer war im Herzogenrather Nell-Breuning-Haus zu Gast und inspirierte dort Frauen und Männer aus dem pastoralen Schwerpunkt „Kirche und Arbeiterschaft“ des Bistums Aachen. In diesem bündeln sich Initiativen, die sich für die Würde von Beschäftigten, wirtschaftlich und sozial Benachteiligten sowie Langzeitarbeitslosen einsetzen. Kreutzer machte deutlich, dass es zutiefst theologisch begründet sei, vom Lebensalltag der Menschen auszugehen und sich an ihre Seite zu stellen und für ein gelingendes, glückliches Leben zu streiten. Das Zweite Vatikanische Konzil habe den Menschen in seiner Gottesebenbildlichkeit ins Zentrum gestellt. Papst Franziskus habe diesen Auftrag bekräftigt und aufgefordert, an die Ränder zu gehen. Und das heiße heute, ganz genau zu schauen, was es bedeutet, unter prekären Bedingungen zu arbeiten, zuwenig Geld zum Leben zu haben, keinen festen Rhythmus zu haben, keine verlässliche Zusage auf einen Tag, ein Wochenende, einen Urlaub hin. Und das heiße ebenso, auf die zu schauen, die keine Arbeit haben, sich aussortiert und abgeschrieben fühlen, beleidigt und gegängelt werden. Verbände, Vereine, Pfarreien und andere Träger, die sich im Schwerpunkt engagieren, tun das. Sie schauen hin, hören den Menschen zu und bieten ihnen Orte an, an denen sie ihre Würde neu erfahren. Davon brauche es angesichts von Digitalisierung und Prekarisierung der Arbeitswelt künftig mehr, nicht weniger, nahm die Bischöfliche Kommission „Kirche und Arbeiterschaft“ als Auftrag mit.