Billiges Fleisch im Discounter. Erschwinglicher Spargel. Tiefstpreise bei Textil- und Elektrowaren. Frauen, die sich bezahlbar rund um die Uhr im Haushalt um einen pflegebedürftigen Menschen kümmern. Wohin man nur schaut: Vornehmlich westeuropäische Verbraucher:innen profitieren seit vielen Jahren von günstigen Preisen und Tarifen. Sie kommen so in ihrem alltäglichen Wohlstand aus.
Das funktioniert allerdings nur, weil die wahren Kosten hinter dem Preis verschleiert sind. Den Teil, der nicht eingepreist ist, bezahlen andere Menschen, mit ihrer Gesundheit, mit ihrer Lebensqualität, mit einem Verlust an sozialen Beziehungen und seelischem Wohlbefinden. Mit Unsicherheit, Angst und Sorgen, was die Zukunft bringt. Mit ihrer Ohnmacht gegenüber Unrecht und Gewalt.
Es geht um die Menschen, die Rohstoffe und Waren für uns herstellen, verarbeiten, transportieren, in Lager einräumen, anbieten. Das ist längst nicht nur ein Problem in Entwicklungs- und Schwellenländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Vielmehr ist es bedrängender Alltag in europäischen Ländern von Portugal, Spanien und Italien bis Rumänien, Bulgarien und Moldawien.
Und auch im Wirtschaftswunderland Deutschland, der vermeintlich unerschöpflichen Wohlstands- und Arbeitsplatzmaschine in der Mitte Europas, ist die grenzenlose Ausbeutung von Wanderarbeiter:innen grausame Wirklichkeit hinter der glänzenden Fassade. Fleischfabriken, Landwirtschaft, Hotellerie und Gastronomie, Logistik – in so manchen Branchen herrschen oft unwürdige und illegale Zustände.
Im Europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen (EZA) laufen viele Augenzeugenberichte und Informationen zusammen, welche die skizzierte Bestandsaufnahme einer grenzenlosen Ausbeutung im europäischen Binnenmarkt untermauern. Das Erasmus+-Projekt „migrantwork in europe“ bringt Organisationen und Einrichtungen aus diversen Ländern zum offenen Austausch zusammen.
Als Bildungspartner organisiert und moderiert das Nell-Breuning-Haus internationale Seminare und Konferenzen in Kooperation mit EZA und Mitgliedern von EZA aus Belgien, Portugal, Bulgarien, Estland, Litauen und Rumänien. Kurz vor den Schlussberatungen diskutierten Verantwortliche nun mit der Schirmherrin des Projektes, der Aachener Europaabgeordnete Sabine Verheyen, über den Sachstand des Projektes und die erkannten politischen Handlungsbedarfe.
Die prominente Gesprächspartnerin teilte viele Analysen und Forderungen, welche die Runde um EZA-Generalsekretärin Sigrid Schraml sowie Dr. Manfred Körber, Dr. Christina Herrmann und Rainer Rißmayer vom Nell-Breuning-Haus auf den Tisch legte. Aus ihrer reichen politischen Erfahrung konnte Sabine Verheyen gut nachzeichnen, wo weitere Regulierungsbedarfe bestehen.
Neben den starken wirtschaftlichen Interessen, welche Branchenlobbyisten im politischen Prozess geltend machen, gibt es aber auch offensichtliche Probleme im Vollzug einer an sich bereits ganz gut geregelten Situation. Zum einen nehmen sich die Tarifpartner der Thematik in vielen Fällen nur halbherzig oder gar nicht an. Zum anderen gibt es immer wieder Mängel bei den Kontrollen.
Sabine Verheyen zeigte sich betroffen von den Missständen, die Anna Kobylecka, Pastoralassistentin aus Heinsberg, und Danuta Dorosz, Beratungsstelle Arbeit in Geilenkirchen, aus erster Hand berichteten. Ob es in Bauernhöfe kasernierte Feldarbeiter sind oder illegal unter Mindestlohn beschäftigte 24-Stunden-Pflegekräfte – die Verhältnisse sind unwürdig, hier in der Region.
Kann man nicht mehr gegen schwarze Schafe in diesen Branchen tun? Diese Frage kam immer wieder hoch in der Diskussion, an der sich auch Oliver Bühl vom KAB-Diözesanverband Aachen beteiligte. Es braucht eine verstärkte Öffentlichkeit für diese ausbeuterischen Praktiken. Leichter allerdings gesagt als getan, denn so mancher kämpft mit wörtlich harten Bandagen um seinen Vorteil.
Die rege Diskussion unterstrich, dass mit dem intensiven internationalen Austausch von Arbeitnehmerorganisationen ein wichtiger erster Schritt unternommen ist, dem aber weitere folgen müssen. EZA und Nell-Breuning-Haus werden die Fäden, die im Erasmus+-Projekt „migrantwork in europe“ gesponnen wurden, aufnehmen. Es soll und wird mit dem Thema weitergehen.