Wenn die Lunte bei manchen Leuten immer kürzer wird

„Vergiss nie: Hier arbeitet ein Mensch!“ DGB-Ausstellung im Nell-Breuning-Haus thematisiert die Gewalt, der viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst ausgesetzt sind

Dr. Manfred Körber bei der Vernissage Gewalt gegen Beschäftigte (c) Thomas Hohenschue
Dr. Manfred Körber bei der Vernissage Gewalt gegen Beschäftigte
Datum:
Di. 13. Sept. 2022

Körperliche Übergriffe, Beleidigungen, Bedrohungen ziehen vielfach in den Alltag von Menschen ein, die für die Allgemeinheit tätig werden. Polizisten, Politessen, Rettungskräfte und Feuerwehrleute werden mit dieser Gewalt genauso konfrontiert wie Beschäftigte in Ämtern und Jobcentern oder auch Busfahrer, Müllwerker und Mitarbeitende von Recyclinghöfen.

Keine Privatsache, finden DGB und Mitgliedsgewerkschaften, und thematisieren dies im Rahmen der Kampagne "Vergiss nie - hier arbeitet ein Mensch". In unserer Region ist im Zuge dieser Kampagne eine bemerkenswerte Ausstellung entstanden, die bis zum 27. September bei uns im Nell-Breuning-Haus zu besichtigen ist. Sie ist montags bis samstags bis 20 Uhr und sonntags bis 16 Uhr zugänglich.

In jeder Hinsicht ist unser Bildungs- und Tagungszentrum in Herzogenrath ein passender Ort, um das Thema aufzugreifen, unterstrich unser Leiter Dr. Manfred Körber. Hier gehen durchaus beide Seiten ein und aus: Polizisten, Pflegekräfte, Beschäftigte aus Jobcentern oder der Gastronomie zum Beispiel ebenso wie andererseits Jugendliche und junge Erwachsene, deren Start in das Berufsleben schlecht verläuft, die Gewalt in Familie und Umfeld erleben, Ausgrenzung erfahren. Unser Haus fühlt sich ihrer sozialen Integration verpflichtet. Sein großes Ziel ist eine gerechte Bildungsteilhabe aller.

Diese Gemengelage ermöglicht unkonventionelle Begegnungen mit der Welt der anderen. Der DGB-Ausstellung einen Ort zu bieten, der unverhoffte Begegnungen, Gespräche, Konfrontationen fördert, soll zweierlei bewirken. Zum einen möchten wir als Nell-Breuning-Haus ein entschiedenes Zeichen der Solidarität mit den betroffenen Beschäftigten setzen. Zum anderen wollen wir einen Beitrag leisten, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und nachhaltige Verbesserungen anzubahnen. In Pausen, beim Vorbeigehen, einfach so, soll im Foyer eine Auseinandersetzung gefördert werden.

Dr. Benjamin Fadavian (c) Thomas Hohenschue
Dr. Benjamin Fadavian

Dr. Benjamin Fadavian ist das Thema der Ausstellung leider sehr vertraut und er zeigt sich stark betroffen angesichts der Dimension und Tragweite der Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit gegenüber Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Dem Bürgermeister der Stadt Herzogenrath berichten Beschäftigte immer wieder von belastenden Wutausbrüchen, die ihnen auch bei nichtigen Anlässen entgegenschlagen. Niemand habe eine solche Behandlung verdient, kritisierte er, und man solle sich über den Fachkräftemangel in manchen betroffenen Bereichen gar nicht wundern.

Bei der Vernissage fragte er nach Ursachen und Gegenstrategien. Warum ist die Gesellschaft so angespannt? Corona, Hochwasser, Krieg, Inflation und weitere tiefgreifende Veränderungen etwa durch Digitalisierung verlangen den Menschen sehr viel ab. Das erklärt aber noch nicht, warum immer mehr Menschen ausrasten, die guten Sitten hinter sich lassen, ihre Wut an Beschäftigten auslassen. Man müsse dem Trend klar entgegentreten, sich vor die Mitarbeitenden stellen, den Taten konsequent nachgehen, sagte Dr. Benjamin Fadavian. Jeder habe Anspruch auf Respekt.

Ralf Woelk (c) Thomas Hohenschue
Ralf Woelk

Schon vor der Pandemie ist die Gewalttätigkeit gegenüber Beschäftigten im öffentlichen Dienst stark ausgeprägt gewesen, berichtete Ralf Woelk. Das spiegelt sich in der Ausstellung wider, der eine repräsentative Umfrage vorausging, wie der Geschäftsführer des DGB NRW Süd-West skizzierte. In dieser Umfrage bekannten zwei von drei Befragten, in den letzten zwei Jahren Gewalt in Ausübung ihres Dienstes erlebt zu haben. Die Daten belegten, was das Bauchgefühl schon vorhersagte. Und dieses meldet sich jetzt wieder: Gefühlt wird die Lunte immer kürzer, bis Leute gewalttätig werden, die Nerven liegen bei vielen blank, die Grenzen des Sagbaren scheinen nicht nur im Internet verschoben.

Umso bedeutsamer die politischen Forderungen, die sich aus den erhobenen Fakten, Daten und Fallbeispielen ergeben und in der Ausstellung unterstrichen werden. Systematische Statistiken, klares Meldeverfahren, verlässliche Bearbeitung, konsequente Verfolgung, spürbare Ahndung der Taten – nur ein paar Punkte, um den Beschäftigten eine neue Sicherheit zu geben. Der Verbalradikalität im Netz und auf Demos einen Riegel vorschieben, wäre auch so eine Sache. Diese untragbare und unerträgliche Entwicklung fordert allerdings nicht nur den Staat heraus, sondern die gesamte Gesellschaft. Von daher braucht es Öffentlichkeit und Sensibilisierung, wie es der DGB versucht.

Detlef Marosz (c) Thomas Hohenschue
Detlef Marosz

Auch Detlef Marosz kennt das Thema der Ausstellung allzu gut. Er ist seit 22 Jahren Bezirkspolizist aus voller Leidenschaft und man glaubt ihm aufs Wort, wenn er sagt: Wenn der Respekt stimmt, kommen viele mit mir klar und ich auch mit ihnen. Aber leider erlebt er immer wieder Gegenteiliges, er wird in Ausübung seines Dienstes für die Allgemeinheit beleidigt, bedrängt, bedroht, geschlagen und getreten. Nicht nur einmal ist das in eine solche Gewalt eskaliert, dass er Verletzungen davontrug, teilweise sogar für Monate dienstunfähig geschrieben werden musste.

Dass die Justiz mit diesen Taten gerade bei jugendlichen Serientätern milde urteilt, Strafen immer wieder zur Bewährung aussetzt, obwohl die Frist für die letzte Bewährung noch nicht verstrichen ist, versteht der Beamte nicht. Diese Folgenlosigkeit für ihre Taten reißt allen Respekt ein, den die Täterinnen und Täter gegenüber dem Staat und seinen Bediensteten haben, kritisiert Detlef Marosz. Die Einfühlung vor Gericht in die benachteiligte Lebenssituation und psychische Belastungen der Angeklagten gehen ihm zu weit, da fühlt er sich als Opfer der verbalen und physischen Gewalt zurückgesetzt. „Auch ich habe eine Menschenwürde“, sagt er.