Wohl wissend, dass diese Vorsätze häufig die Halbwertzeit von leckerem Lakritz haben, das unschuldig auf dem Tisch steht. Was aber, wenn man nicht nur auf das beginnende neue Jahr schaut, sondern sich einmal fragt, wie das Leben in ca. 20 Jahren aussieht? Und sich zweitens fragt, was man heute dazu tun kann, damit dieses Leben ein gelingendes, gutes sein wird?
Die Zukunft ist voller Überraschungen. Sie vorherzusagen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Das Wetter ist dafür ein gutes Beispiel. Trotz immer besserer Daten, Statistiken und Modelle treffen die Prognosen nicht immer ins Schwarze. Was noch auf ein, zwei, sogar drei Tage funktionieren mag, versagt in der Regel auf Wochensicht und erst recht auf Monate hin. Dafür gibt es immer noch zuviele Unbekannte, Wendungen, Turbulenzen. Die Meteorologen arbeiten weiter hart daran, das Wetter zu verstehen und seine verwinkelten Verläufe vorwegzunehmen.
Wieviel komplizierter ist das bei einem solch undurchschaubaren Gebilde wie dem menschlichen Miteinander! Auch dieses ist inzwischen wissenschaftlich durchdrungen, statistisch vermessen, täglich kommen neue Erkenntnisse hinzu. Regierende haben ebenso Interesse daran, das zu verstehen und vorauszuschauen, wie Internetkonzerne und andere, die etwas zu verkaufen haben. Im besten Fall dient das der Demokratie und einem Gemeinwesen, das den garantierten Grundrechten Rechnung trägt.
Bange machen gilt nicht. Kapitulieren vor der Unübersichtlichkeit heißt, sich der Mitgestaltung zu entziehen. Von dieser Überzeugung geprägt, haben sich in der StädteRegion Fachleute auf den Weg gemacht und gemeinsam in die Glaskugel geschaut. Ziel des Vorhabens mit dem Namen „#sozial2035“ ist weder eine exakte Prognose der gesellschaftlichen Entwicklung noch eine Utopie. Sondern die Absicht lautet, sich wahrscheinliche Zukünfte anzuschauen, um in deren Angesicht Möglichkeiten auszuloten, Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen. „Nachdenken, bevor es zu spät ist“, nennt Daniela Schiffler die Devise.
Die Regionalwissenschaftlerin hat 50 Fachleute interviewt. 600 Seiten stark ist die Verschriftung der Gespräche. Unter Federführung von Oswald-von Nell-Breuning-Haus und Faktor X Agentur der Indeland GmbH wurden die Ergebnisse verdichtet und in vier denkbaren Zukunftsszenarien anschaulich beschrieben. Keines davon ist nur düster oder nur optimistisch – wo Licht ist, ist auch Schatten. In einer 160-Seiten-Broschüre sind Daten und Fakten lebendig kombiniert mit Erzählungen, Sprichworten, Zitaten und vielem mehr. Das Bistum Aachen hat das Ganze gefördert und sieht es als Modellprojekt, sich kreativ mit der Gestaltung von Zukunft auseinanderzusetzen.
Über die Aushandlung strittiger Fragen gemeinsam der Zukunft näher kommen
So bewertet auch Klaus Burmeister das Vorhaben. Der Zusammenschnitt von Zukunftserwartungen sei ein Angebot zum Weiterdenken, sagt der Zukunftsforscher. „Zukunft ist kompliziert und macht Arbeit, aber man muss die Dinge zusammendenken“, verdeutlicht er. Und nennt als Stichworte den digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft, eine Demokratie im Krisenmodus, die wachsende Schere zwischen Arm und Reich und die Auswirkungen des Klimawandels, weniger auf das örtliche Wetter, vielmehr auf weltweite Fluchtbewegungen. „Das alles sind ganz reale Dinge“, sagt er, „wir müssen uns dazu verhalten und eine Position dazu gewinnen.“
Solche Metatrends kommen konkret bei uns im Bistum an, schreiben bestehende Ungleichheiten und Benachteiligungen in den Städten und Ortschaften fort. Für das Gebiet der StädteRegion sagen die Fachleute voraus, dass in den nächsten 20 Jahren neben dem demografischen Wandel auch die Zuwanderung prägendes Thema bleibt. Der Staat nimmt kein zusätzliches Geld für soziale Dienste in die Hand. Aber besser werden will man schon darin. Kommunen und StädteRegion stellen sich mit Sozialplanung darauf ein, gezielter Antworten auf soziale Herausforderungen zu geben. Das geht ins Detail, bis in einzelne Viertel hinein. Dazu befragen sie auch Bewohner, wie es weitergehen soll mit dem Miteinander.
Alles löblich, aber Wissenswachstum alleine helfe nicht – es gehe darum, bereits gewonnene Erkenntnisse umzusetzen, halten Sozialforscher Ulrich Deller von der Katholischen Hochschule und Peter Brendel vom Dachverband „Pro Arbeit e.V.“ dagegen. Auch sie sehen in den vorgestellten Szenarien eine gute Grundlage, jetzt anzupacken. Reiben kann man sich an jeder Frage: Will man mehr oder weniger sozialen Zusammenhalt? Wieviel Freiheit will man, wieviel Sicherheit? Wovon sollen Menschen künftig leben? Worin sollen sie ihre Würde entfalten? Was tut die Gesellschaft für die, die abgehängt werden? Fragen über Fragen, über deren Aushandlung man der Zukunft näherkommt – heute, in zehn Jahren, 2035.
Mehr Informationen unter www.sozial2035.de
Kontakt: Christina Herrmann, Tel. 02406/95 58 24, E-Mail: christina.herrmann@nbh.de